Unterwegs mit 0,19 km/h (14km in 72 Stunden)

Von Tanta nach Vilca sind es doch nur 14 Kilometer

also 30 min. - so dachten wir. Warum aus 30 min 2 1/2 Tage wurden könnt ihr hier lesen.



Nachdem wir uns durch die fürchterlichen Straßen von Lima gekämpft haben freuen wir uns schon auf den westlich der Stadt gelegenen Nationalpark. Dass die Straßen dort nicht gut sind, ist uns klar. Schotterpisten halten uns aber schon lange nicht mehr auf. 

Grün-türkise Felslandschaften wechseln sich ab mit tiefroten Sandformationen und endlich k(n)acken wir auch mal (auf)die 5000 m Höhenlinie. Immer tiefer geht es in den Park. Ab und zu sehen wir Hirten mit ihren Kuh- Schaf- und Alpacaherden. Immer wieder preschen eiskalte und glasklare Bäche aus den Bergen und suchen sich in allen erdenklichen Blautönen in Schlangenlinien ihren Weg durch die Landschaft. Im abgelegenen Ort Tanta frischen wir den Tank mit einer Gallone auf, da der Spritverbrauch bei dieser Höhenlage stark ansteigt.


Das müsste bis zum nächst größeren Ort reichen, wo der Sprit wieder etwas günstiger wird. Campieren wollen wir heute Abend in Vilca. Da müssten wir in circa 30 min sein.

Wir folgen der Straße weiter. Ein prüfender Blick auf die Karte verrät uns, dass wir vor 15 Minuten eine Abbiegung verpasst haben, die wir hätten nehmen sollen. Na gut, dann eben zurück. 17: 39 Uhr. Oh, böses Ührchen. Da hier gerade Winterzeit ist dämmert es schon zwischen 5 und 6 Uhr, sodass wir spätestens um halb sechs unseren Schlafplatz finden sollten. So verpassen wir knapp unser Tagesziel. Nicht weiter schlimm. Es sind ja nur 10 km. Das stört keinen großen Geist. Also Zelt aufschlagen, Suppe kochen, schlafen legen.

 

Thomis Magen macht nicht so ganz mit. Von der Suppe gestern Abend hat er lediglich ein bisschen an der Brühe genippt. Unser Wasservorrat ist auch seit gestern schon aufgebraucht. Vorsorglich habe ich jedoch abends noch Bachwasser abgekocht, dass bis zum nächsten Dorf reichen dürfte. Durch den kleinen Umweg gestern ist auch etwas weniger Sprit im Tank als geplant. Naja. Ist ja nicht mehr weit.

Trotz allem machen wir uns frohen Mutes auf den Weg und freuen uns schon auf ein Frühstück in Vilca . 

Hinter einem Fels neigt sich der steinige Weg auf einmal steil nach unten, nur um sich kurz danach genauso steil wieder nach oben zu winden. Vorsichtshalber steige ich ab und Thomi steuert seine Suzi geschickt an den Felsbrocken vorbei. Mit einem Auto ist diese Straße nicht mehr befahrbar. Das wird uns klar. Und als ein großer Fels circa 2/3 der Straße blockiert ist es endgültig. Mit dem Motorrad können wir uns daran vorbeischlängeln. Zum Glück! Nicht auszudenken wenn wir nicht mehr weiter kämen. Das würde bedeuten, dass wir 2 Tage Umweg auf Schotterstraßen auf uns nehmen müssten.


Die Straße, die man wohl nicht mehr wirklich als Straße, sondern eher als Weg oder gar Trampelpfad bezeichnen kann, verjüngt sich immer weiter. Und auf einmal ist da keine Straße, kein Weg, kein Trampelpfad mehr. Nur noch Abhang.

 

Wir stellen das Motorrad ab. Auf beiden von Thomis Karten ist hier eine Straße vermerkt. Hat ein Hangrutsch die Straße verschluckt? Wir erkunden zu Fuß. Im Tal sehen wir eine kleine Hütte. Auf dem Hügel neben uns grasen Pferde. Ja, die Straßen wird bestimmt dort drüber weiter gehen. Da unten sind ja sogar Menschen. Aber wie kommen wir da hin? Nach Geländeerkundung entscheiden wir, dass wir über den grasigen Hügel nach unten fahren können. Vorsichtig rollt die Suzi den Hügel hinunter, entlang eines schmalen Pfades, den die Tiere hier für uns vorgetrampelt haben. Ein Balanceakt, der uns im Tal wieder auf einen steinigen Pfad führt. Thomi ist etwas entkräftet und braucht erst einmal eine verdiente Pause. Wie wird der Weg sich wohl entwickeln? Um das herauszufinden mache ich mich auf und folge dem steinigen Weg weiter. Nach jeder Biegung hoffe ich am Horizont eine Besserung zu erkennen... 

Toll ist der Weg wirklich nicht...ich könnte ewig weiterlaufen. Klar wird, dass hinter jeder Kurve neu entschieden werden muss, wie und wo es weitergeht. Ich laufe zurück zu Thomi und gebe Lagebericht. Wir wollen es probieren. 

Weit kann die Straße ja nicht entfernt sein. Das Schaffen wir schon. Besser als umkehren und die fürchterliche Küsten-Autobahn nehmen. Auf ans Werk. 

Schon bald geht es auf dem Weg wieder einmal nicht weiter. Wir müssen gleich zweimal durch den selben Fluss.

Das Wasser ist eisig und tief - doch beide Flussdurchfahrten gelingen ohne großes Bibbern. Ein Hirte gibt uns Auskunft, dass der Weg auf der einen Flussseite bis ins Dorf führt. Gut. Dann probieren wir auf dieser Seite zu bleiben.


Wir holpern über die Steine hinweg. Uff - an einer Stelle werden sie so groß, dass Thomi versucht durch das Gras neben dem Weg zu fahren. Das Dorf ist nun keine 7 km weit weg.

Platsch - da ist es passiert. Das grasige Ufer hat sich unter uns in eine Sumpflandschaft verwandelt, in das der Vorderreifen langsam aber sicher zu versinken droht. Wir ziehen nach vorne, zerren nach hinten - nichts bewegt sich. Der Reifen steckt tief im Morast fest.

 

Was tun? Ein Blick über den Vorderreifen hinweg macht klar, dass wir das Motorrad besser zurückziehen, auf das sichere Stück Wiese, auf dem wir jetzt sitzen. Wer weiß, wie es da vorne weitergeht.

Der Plan ist, das Motorrad auf die Seite zu kippen und dann das Vorderrad mit einem Spanngurt in Richtung sicheres Wiesenstück zu ziehen. Nicht nur die Zeit arbeitet gegen uns. Dadurch, dass wir immer wieder von verschiedenen Seiten drücken und zerren müssen, wird es immer instabiler um uns herum und schon stecken wir bis zur Hüfte im Matsch und müssen uns gegenseitige aus der Grube helfen. Mit Steinen, die wir vom Wegrand herbeischleppen, versuchen wir Standflächen zu bauen. Doch auch die Steine werden gnadenlos vom Matsch verschlungen. Mit viel Kraft, die eigentlich schon von den Hürden bis hier her verzehrt wurde, schaffen wir es, die Suzi so zu drehen, dass der Vorderreifen Richtung rettendes Ufer zeigt. Allerdings steckt jetzt der Hinterreifen voll im Matsch. Immer wieder kippen wir nach links oder rechts weg, beim Versuch, das Motorrad da raus zu bewegen. Der Motor kann uns nicht helfen, da der Reifen keinen Griff hat.

 


Ab und zu ziehen Menschen mit ihren Eseln an uns vorbei, gucken verdutzt, grüßen leise oder sagen, dass man besser auf dem Weg bleibt. Ach was! Mit Esel ist der ja auch leichter zu passieren...Wir schleppen größere und möglichst flache Steine herbei und versuchen diese so unter den Hinterreifen zu platzieren, dass er nicht weiter sinkt und Griff bekommt. Stück für Stück, Zenti - nein Millimeter für Millimeter wuchten wir das Motorrad vorwärts. Thomi zieht von vorne, ich schiebe hinten. Es macht den Anschein, als wäre der Reifen ein Stück auf einem Stein. Thomi macht den Motor an. Erst ein wenig Rantasten, Fingerspitzengefühl und dann Augen zu und durch, alles auf einen Versuch, Kräfte bündeln, Gas geben, drücken was das Zeug hält, weiter Gas geben...Matsch fliegt mir um die Ohren...Scheiß egal...das Ding bewegt sich...und platsch - ich kippe vorne über in den Matsch und Thomi - wir haben es geschafft, das Motorrad ist draußen!

Vermatsch wie wir sind gehen wir mit samt unseren Sachen uns im Fluss so gut es geht reinigen und ziehen die letzten trocken und einigermaßen sauber gebliebenen Klamotten an. Es dämmert bereits. Die ganze Aktion hat gute drei Stunden gedauert und unsere letzten Kräfte gefordert, sodass wir uns entschließen, das Zelt direkt hier aufzubauen und uns schlafen zu legen. Wir trinken die letzten Schlücke des abgekochten Wassers und kochen eine kleine Portion Reis. Thomis Hunger hält sich wegen der Magenprobleme eh in Grenzen und ich brauche auch eher Schlaf als etwas zu essen.


Eine Frau die vorbeikommt versichert uns, dass das der schlimmste Abschnitt des Weges sei. Beruhigt von dieser Neuigkeit legen wir uns schlafen.

"Neuer Morgen - neues Glück, die Hoffnung stirbt zuletzt, wenn man am Boden ist geht es nur noch nach oben, und wenn du denkst es geht nicht mehr..." derlei Floskeln begleiten unser Aufstehen.

 

Der Weg, auf den es nun weitergeht ist durch vier steinige Schlammstellen unterbrochen, bevor er wieder in trockenere Höhen ansteigt. Circa 100 Meter. "Das schaffen wir in einer Stunde, okay?" Okay Thomi - das schaffen wir.

Die Steine sind glitschig und schon beim ersten Versuch das Motorrad darüber zu schieben landen wir wieder im Matsch. Alles klar - das wird wohl wieder eine Schlammschlacht. Also ziehen wie unsere letzten sauberen Hosen aus und in Unterwäsche geht es weiter. Nach und nach finden wir ein System heraus, wie diese Schlammlöcher am besten zu meistern sind. Statt mehr Steine in den Schlamm zu legen, buddeln wir eher welche aus. Denn hier auf dem Weg ist in einiger Schlammtiefe festerer Boden. Und so graben unsere Hände die im Weg liegenden Steine aus dem stinkenden und modernden Gemisch aus Kuhkacke, Entengrütze und Eselpisse. Ein paar mal dreht sich mir der leere Magen um.

Der Motor kann uns dieses mal mehr helfen, auch als die Suzi wieder einmal feststeckt. Ich schiebe von hinten, Thomi gibt Gas - wieder einmal werde ich vollgespritzt - aber was soll ´s. Wir sind durch. Nach 1,5 Stunden haben wir die 100 Meter geschafft. Wieder einmal versuchen wir uns so gut wie möglich im Fluss zu reinigen. Weiter geht die gute Fahrt. Leider nicht lange.

 

 

Der Weg steigt an und wird zu steinig für das Motorrad. Wir prüfen das grasige Ufer. Größtenteils macht es einen guten Eindruck. Doch drei Meter sehen verdächtig nach Schlammschlacht aus. Ich tänzle über die unsichere Stelle, in der Kuhstapfen tiefe wässrige Löcher hinterließen. Ohje. Ich ahne Schlimmes. Aber es gibt einfach keine andere Möglichkeit.

Wir müssen hier durch.

Wir spannen unser Gepäck vom Motorrad, damit es leichter wird. Thomi setzt an und ...wuschrutschschliddermatsch... wieder stecken wir über beide Räder tief im bodenlosen Morast. Nichts geht mehr. Nicht vorwärts. Nicht rückwärts. Unsere erste Idee die Tesch-Taschen-Deckel als Hilfe unter die Räder zu klemmen und peu à peu nach vorne zu rücken funktioniert nicht. Und so hilft uns nur graben. In circa 80 cm Tiefe wird der Schlamm sandiger und fester. So graben wir eine Bahn, auf der wir das Motorrad nach vorne ziehen können. Wieder sind wir von oben bis unten verschlammt. Aber das ist uns inzwischen egal. Nach weiteren 2,5 Stunden ziehen, graben, zerren und schimpfen haben wir die Suzi rausgezogen.


Es ist jetzt Mittag und wir haben weder etwas gegessen noch getrunken. Erschöpft, entkräftet und mit leichtem Schwindel beschließen wir, wenn noch eine weitere Hürde auf dem Weg zum Dorf kommt, stellen wir das Motorrad ab und laufen zum Dorf, um uns erst einmal wieder zu versorgen. Unsere Lippen sind ausgetrocknet und rissig.

Wie nicht anders erwartet lässt die nächste unglaubliche Hürde nicht lange auf sich warten. Diesmal aber ins andere Extrem.

Weiter am Flussufer entlang geht es nun nicht mehr. Nun führt der einzige Weg über eine Steigung, deren Felsbrocken unüberwindbar scheinen.

Wir stellen das Motorrad ab und schleppen uns mit letzten Kräften in das nun 3 km entfernte Dorf und hoffen auf den nächsten Dorfladen.

Nach circa 30 min. Fußmarsch erreichen wir Vilca. Im Dorf stoßen wir auf Ronald und Steven. Sie geben uns zu trinken und eine warme Suppe. Wie zwei Häufchen Elend sitzen wir bei ihnen in der Küche und schöpfen doch mit jedem Löffel der Suppe neue Kraft. Wir schildern ihnen unsere Misere der letzten Tage. Wir fragen, ob sie uns Hammer und Bretter ausleihen können, damit wir die Suzi irgendwie über die Felsen manövrieren können. Sie schlagen vor uns zu helfen. Dieses Angebot nehmen wir gerne an, vor allem da Ronalds Gestalt die eines Bären gleicht. Wir verabreden uns für den nächsten Tag zwischen 7 und 8 Uhr morgens. Thomi und ich laufen nun mit neuen Wasservorräten zurück zum Motorrad, schlagen erneut unser Zelt auf und fallen in einen unruhigen Schlaf.

Wie versprochen tauchen die Beiden am morgen um halb neun mit Pickel und Seilen auf, um uns bei der letzte Etappe unseres Hürdenlaufs zu helfen. Mit ihnen kommt auch neuer Elan. Steven macht sich mit dem Seil zu schaffen, das er am Vorderrad befestigt und kräftig daran zieht. Ruck um Ruck geht es den steilen Weg hinauf. Die Tesch-Taschen an den Seiten haben wir abgeschraubt, damit das Motorrad durch die engen Passagen passt. Thomi ist der Dirigent dieser ganzen Szenerie und lenkt die Suzi zwischen des Felsbrocken hin und her. Die Muskeln sind gespannt, die Schweißperlen tropfen. Stein um Stein geht es vorwärts. Ronald hat sich hinter dem Motorrad positioniert und scheint die Suzi fast den Berg heraufzutragen. Wieder einmal zeigt sich, es ist besser einen Einzylinder zu fahren, als eine GS. Wir sind oben. Der Weg zum Dorf ist frei. Wir sind frei! 


Steile Steinstufen führen schließlich ins Dorf. Letzter Kniff - eine Kleinigkeit...

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Kommentare: 2
  • #1

    Dirk (Donnerstag, 23 Juni 2016 21:30)

    Scheiße, was für ne geile Tour! Mit der KTM hätten wir wohl noch Spinat essen müssen! Ihr habt Euch wahrhaftig ein persisches Thermalbad verdient, getrennt natürlich! Oder ein kaltes Jever, das gäbe es hier in Elmshorn! Liebe Grüße Dirk

  • #2

    Don Pedro (Donnerstag, 14 Juli 2016 13:37)

    Servus Melli + Tom,

    großartige Leistung, die ihr da hingelegt habt und dass Ihr Euch nicht entmutigen lasst.
    Ich wünsche Euch weiterhin viel interessante "Erfahrungen" auf Eurer Welt-Erkundungs-Tour.

    Jetzt weiß ich, dass der Schritt "zurück-zur-XT" (XT 500 in den 80er Jahren) der Richtige war. Nach diversen Hondas fahre ich seit Kurzem mit viel Freude eine Tènèrè 3AJ, 1988. Diese wird mich auf meiner geplanten Russland-Tour führen, natürlich dann mit Tesch-Taschen ;-).

    Beste Grüße

    Don Pedro